Vor 80 Jahren: Die Evangelische Gemeinde M.Gladbach im Kriegsjahr 1939
Mit einer Lüge des Diktators Adolf Hitler begann vor 80 Jahren am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg als opferreichster Krieg der Weltgeschichte. Die deutsche Wehrmacht überfiel Polen und Hitler versuchte, seinen Aggressionskrieg als angeblichen Verteidigungsakt zu legitimieren.
Das Presbyterium der Evangelischen Gemeinde M.Gladbach war bereits am Vorabend, dem 31. August 1939, im Wichernhaus zusammengekommen. Der Vorsitzende Pfarrer Ulrich Seeger hatte die Sitzung mit einer Schriftlesung aus Psalm 85 eröffnet, in dem der Psalmist in Vers 9 die Worte spricht: „Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten.“ Der Vorsitzende berichtete laut Protokoll über die Auswirkungen der begonnenen kriegerischen Auseinandersetzungen mit Polen auf unsere Gemeinde. Pfarrer Rehmann war bereits in der Nacht zum 26. August als Oberleutnant der Reserve eingezogen worden und kehrte erst 1942 zurück. Einberufungsbefehle erhielten auch Mitarbeiter des Gemeindeamtes und des Krankenhaus Bethesda. Im Haus Zoar mussten für ein Bekleidungs- und Ausrüstungslager der Militärbehörde Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Im Bethesda waren bis zum 30. August 75 Betten zur Einrichtung eines Teillazaretts frei zu machen. Der Kindergarten im Haus Zoar wurde vorläufig ins Vereinshaus Steinmetzstraße verlegt. Die Luftschutzräume in den Kindergärten mussten zeitnah überprüft werden. In den Kindergärten beim Betsaal und im Wichernhaus, später auch im Konfirmandensaal Pescherstraße und im Kindergarten Knopsstraße, wurden wöchentliche „Kriegsbetstunden“ als Bibelstunden angesetzt. Die folgende Presbyteriumssitzung am 5. September 1939 eröffnete Pfarrer Seeger mit einer Schriftlesung aus Jeremia 29, Verse 7-14a. Vers 11 verdeutlicht, was die Mitglieder der damaligen Kirchenleitung bewegte: „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“
Am 4.9.1939 war vom Polizeipräsidenten M.Gladbach mitgeteilt worden, dass jegliches Glockengeläut ab sofort einzustellen sei, um eine Beeinträchtigung der Flugabwehr zu vermeiden. Der kirchliche Unterricht wurde wegen der Kriegslage zunächst ausgesetzt. Den zum Wehrdienst eingezogenen Männern der Gemeinde sollten geeignete missionarische Schriften zugesendet werden.
Eine trotz des Krieges erfreuliche Mitteilung in der Sitzung war, dass ein Rechtsstreit zwischen der Finanzabteilung der Landeskirche und dem Presbyterium im Sinne der Gemeinde beendet wurde. Die Finanzabteilung des Konsistoriums der Rheinprovinz hatte durch eine rechtsverbindliche Anordnung vom 25.6.38 einen Finanzbevollmächtigten aus den Reihen der hitlertreuen „Deutschen Christen“ eingesetzt und erhebliche Eingriffe in die Finanzhoheit der Gemeinde, die sich der „Bekennenden Kirche“ angeschlossen hatte, vorgenommen. Die Anordnung vom 25.6.38 und ein Antrag des Konsistoriums der Rheinprovinz vom August 1939 beim Oberkirchenrat in Berlin, das Presbyterium aufzulösen, wurden zurückgezogen und der Finanzbevollmächtigte abberufen. Hitler hatte einen „Burgfrieden“ für die streitenden Lager in den evangelischen Kirchen angeordnet und im September Amnestien für laufende Gerichtsverfahren veranlasst.
Am 3.10.39 wurde vom Düsseldorfer Regierungspräsidenten ein Glockengeläute zum Gedenken des Sieges, zum Einzug der deutschen Truppen in Warschau und zum Gedenken an die Gefallenen für die Zeit von Mittwoch, dem 4.10.39 bis Dienstag, dem 10.10.39 Mittags von 12 bis 13 Uhr angeordnet. Erst ab 4.11.39 war in beschränktem Umfang das Läuten der Glocken bei kirchlichen Anlässen wieder erlaubt. Ferner wurde die Gemeinde zur Zahlung eines Kriegsbeitrages aufgefordert.
Der traditionelle Abendgottesdienst am Reformationstag 1939 musste wegen der Verdunklungsvorschriften auf den Nachmittag des 5.11. in den Betsaal verlegt werden. Statt der Abendgottesdienste fanden nur noch die Frühgottesdienste um 8 Uhr statt. Am Totensonntag konnten in der Friedhofskapelle nur zwei Kurzandachten stattfinden.
Im November 1939 wurden im Vereinshaus Steinmetzstraße sechs Räume und im Wichernhaus drei Räume durch das Militär beschlagnahmt und mit 400 Soldaten belegt. Am 12. Dezember endete das erste Kriegsjahr 1939 mit einem Beschluss des Presbyteriums, Weihnachtsgrüße und Weihnachtspäckchen an die Soldaten im Felde zu verschicken. Der Krieg hatte 1939 erst begonnen und sollte nach langen Leidensjahren mit einem beispiellosen Zerstörungswerk enden.
Lothar Beckers